Kellerkind: Roman (German Edition) by Neubauer Nicole

Kellerkind: Roman (German Edition) by Neubauer Nicole

Autor:Neubauer, Nicole [Neubauer, Nicole]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Blanvalet Taschenbuch Verlag
veröffentlicht: 2015-01-18T23:00:00+00:00


8. Altschnee

»Servus, Hannes, du brauchst deine Jacke gar nicht erst auszuziehen, wir müssen ins Präsidium. Vernehmung.«

Waechter drängelte sich an Hannes vorbei, ging den Flur hinunter und drehte sich nach ihm um. »Komm!«

»Michi, ich muss mit dir …«

Die Schwingtür fiel zu, und Hannes blieb nichts anderes übrig, als Waechter hinterherzulaufen. Mist. Den richtigen Zeitpunkt verpasst, gar keinen richtigen Zeitpunkt gehabt. Es musste warten. Türen quietschten, Kollegen hasteten über den Flur, Guten Morgen, Guten Morgen, ihre Gesichter flogen an Hannes vorbei wie vage bekannte Gespenster, und er grüßte mechanisch zurück. Die eine Vernehmung noch. Nur noch die eine. Danach würde er Zeit finden, Waechter beiseitezunehmen oder mittags vielleicht beim Essen. Vielleicht war Lily bis dahin schon wieder aufgetaucht. Im Geiste klingelte immer wieder sein Handy, ein Tagtraum, die Enttäuschung danach jedes Mal ein dumpfer Einschlag.

Welche Vernehmung überhaupt? Er hätte ihn fragen sollen.

Waechter trug eine Aktentasche, Grimm stand in seinem Gesicht. Wenn Hannes Glück hatte, durfte er stumm neben ihm sitzen und aufpassen, dass niemand das Tonbandgerät klaute. »Wen vernehmen wir denn?« Er hatte Mühe, mit Waechter Schritt zu halten.

»Baptiste junior. Darfst dreimal raten, wo er gestern aufgetaucht ist.«

»Keine Ahnung? In der Isar? Bei seiner Freundin? Woher soll ich das wissen?« Hannes griff sich ins Genick, streckte und drehte seinen Kopf, es fühlte sich alles verkehrt an, wie falsch aufgeschraubt. Die Vorstufe zu einem gigantischen Kopfschmerz.

»Vor meiner Wohnungstür.«

»Jetzt ohne Schmarrn.«

»Doch. Bei mir im Haus vor meiner Wohnung. Ich hab ihm Kamillentee gekocht.«

Hannes blinzelte, um aufzuwachen. Gerade noch hatte er davon geträumt, dass Waechter für Oliver Baptiste Kamillentee gekocht hatte. Wo blieb der verdammte Wecker? Als er die Augen wieder aufmachte, lief er immer noch neben Waechter her. Es musste einer von diesen ganz hartnäckigen Träumen sein.

Waechter schnippte vor seinem Gesicht. »Ausgeschlafen? Der Vater hat ein Heer von Leuten engagiert, die um den Buben rumschwirren, damit er den Schnabel hält. Es dürfte ihnen nicht allzu schwerfallen. Er macht total dicht.«

»Aber warum in Gottes Namen ist er zu dir gekommen?«

»Wir werden’s wahrscheinlich nie erfahren.« Waechters Gesicht versteinerte, das Thema war beendet.

Sie waren am Auto angekommen. Hannes setzte sich, ohne ein Wort zu sagen, auf den Beifahrersitz. Waechter schaute ihn prüfend an, sagte aber nichts, sondern setzte sich auf den Fahrersitz und steuerte den BMW auf die Straße. »Ihr habt den Vater also gestern zum Reden gebracht. Gut gemacht.«

»Bedank dich beim Hüter des Schweigens.«

Wieder sah Waechter ihn von der Seite an. »Es ist auch eine Kunst, im richtigen Augenblick loszulassen.«

»Hör bloß auf mit deinen salbungsvollen Großmeistersprüchen, so viel älter als ich bist du nicht. Du hörst dich an wie Yoda.«

»Und du hörst dich an wie auf Unterzucker.« Waechter griff ins Handschuhfach und hielt ihm eine Packung Schokokekse hin. Hannes riss sie ihm aus der Hand und fing an zu essen. Erst beim fünften Keks hielt er auf dem Weg zum Mund inne. »Ist das etwa Milchschokolade?«

»Freilich. Die Milch wurde den Kühen von sadistischen Schergen der Milchindustrie bei lebendigem Leib rausoperiert.«

Hannes pfefferte die nichtveganen Kekse in seinen Schoß und starrte aus dem Fenster, obwohl es nichts zu sehen gab außer Schneegestöber.



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